tl;dr: Neue Technologien bei Versicherungen kann man auch nüchterner betrachten, als es die Hype-Artikel der Branchenmagazine vermuten lassen. Wir machen das einmal.

Wir als Versicherungsmakler tummeln uns jeden Tag auf diversen Nachrichtenseiten für die Versicherungsbranche. Und fast jeden Tag lesen wir von jungen Unternehmen, die mit oder ohne Kooperation mit einer alteingesessenen Versicherung die Welt... äääh Marktherrschaft ausrufen - meistens mit, da ja irgendwer der Risikoträger sein muss. Bevor wir als kleiner zynischer Versicherungsmakler traurig unser Firmenschild abschrauben und das Gewerbe abmelden, weil wir gegen die hippen Disruptoren chancenlos sind, schauen wir uns den Kram also mal an und sehen nach, was dahintersteckt. Im ersten Teil der Artikelserie aber nur ein paar allgemeine Worte:

Bewältigungsstrategie: Resigniert amüsiertes Augenrollen

Ja, ich weiß. Klingt nicht gerade neutral und unvoreingenommen, mh? Bin ich, Jan Voss, auch irgendwie nicht mehr. Seit Monaten gehen mir die gängigen Branchenmagazine mit abgeschriebenen Pressemitteilungen von irgendwelchen Unternehmen auf den Keks. Kritisch hinterfragen? Nee. Überhaupt mal nachsehen, was im Angebot ist und wie es funktioniert? Neeee. Die Überschrift muss so sein, dass möglichst viele Klicks generiert werden. Und das funktioniert am besten mit Übertreibungen. Also melde ich mich bei jedem dieser vorgestellten Unternehmen an und schaue nach, was für Dienstleistungen und Produkte so angeboten werden. Ich vermute ja, dass da keiner so wirklich das Rad neu erfunden oder das Wohl des Kunden im Sinn hat... Aber ey, ich lerne ja gerne dazu. Sehen wir meine negative Grundeinstellung und die Hype-Artikel der Branchennachrichten, die ich bei jedem neuen Beitrag dieser Serie verlinke, also als zwei gesunde Gegenpole. Die Wahrheit ist nicht nur irgendwo da draußen, sondern liegt wohl auch irgendwo dazwischen.

Ach so, wieso ich das überhaupt hier schreibe? Naja, erstmal als eine Art Therapie. Schreiben befreit ja auch immer etwas. Und wenn einem unserer Kunden oder Noch-Nicht-Kunden *zwinker* durch die Artikelserie etwas klarer wird, dass wir unseren Beruf ernst nehmen... umso besser.


Halt! Stop! vs. Digital ist besser!

Starten wir einmal mit dem Allgemeinen. Etwas weniger "binary thinking" wäre in der Branche wünschenswert. Es ist nicht alles Schwarz und Weiß. Oder es funktioniert zu 100% oder eben gar nicht. Es gibt auch eine Welt dazwischen. Ich kann aber auch beide Seiten verstehen. Die alten Assekuranzhasen, die genervt sind, dass jede Woche ein Start-Up mit Dudelmusik in einem 2-Minutenvideo auf einer bunten Internetseite mit Fake-Kundenstimmen die Weltherrschaft ausruft - also Weltherrschaft im Sinne von, dass die jetzt alle Versicherungen und alle Kunden bedienen und alle anderen Marktteilnehmer schön nach Hause gehen können. Aber auch die Leute, die in kleinen flexiblen Unternehmen auf der grünen Wiese anfangen "Versicherung" neu denken zu wollen und dabei versuchen eingefahrene Geschäftsprozesse eben nicht nur digital zu kopieren. Die wollen natürlich auch nicht nur negatives Feedback von Besitzstandswahrern hören.

Ich persönlich würde mir von beiden Seiten aber etwas Zurückhaltung wünschen. Den alten Versicherungsfuzzis könnten etwas weniger Beißreflex an den Tag legen und die Start-Up-Hipster etwas weniger laut "trommeln". Der zweite Schritt auf dem Geschäftsplan muss nicht zwangsläufig "Weltherrschaft" sein - auch wenn der Plan der Investoren das so vorsehen mag. Es wird überall nur mit Wasser gekocht. Bestimmte Techniken werden sich durchsetzen, andere nicht. Teilweise adaptiert von alteingesessenen Marktteilnehmern, teilweise von den Erfindern, also den jungen Unternehmen, die sich etabliert haben. Aber das heißt nicht, dass diese alteingesessenen Marktteilnehmer morgen den Markt verlassen müssen, weil ein Start-Up irgendwo im Internet eine Bühne bekommen hat - denn die bekommt man ja schon, wenn man unfallfrei eine Internetseite online gestellt hat. Das heißt aber auch nicht, dass sich eben jene alten Marktteilnehmer zurücklehnen können. Natürlich muss man sich weiterentwickeln.

Fast jeden Artikel zum Thema "Versicherung & Digitalisierung" empfinde ich übrigens als Bullshit-Bingo. Das ist oft eine schlimme Mischung aus heftig.co-Überschriften, einer Ansammlung von Buzzwords und vor allem wenig Sachverstand. Was genau soll hier nochmal „Big-Data“ sein? Was ist jetzt ein „digitales Produkt“? Auch bei künstlicher Intelligenz wird stets so getan, als wenn der T-1000 die Buchhaltung macht. Dass es zuvorderst neuronale Netze sind, die wiederkehrende Aufgaben erledigen und Prozesse in der Versicherungswirtschaft verbessern können, wird kaum erwähnt. Ebenso wenig, dass die schon längst in der Schaden- bzw. Leistungsbearbeitung (Bilderkennung bei Schadenfotos in Verbindung mit Textanalyse der Schadenmeldung/Leistungsanforderung bzw. der Rechnung) laufen.

Auf ans Werk!

Da das ja eine laufende Artikelserie sein soll, mal eine Liste der bisher erschienen Beiträge: